Dänemark Teil 1

Dänemark Teil 1

Dänemark.
Das Tor nach Skandinavien.
Die Erwartungen waren nicht all zu hoch, als ich weiter gen Norden gerollt bin. So kenne ich doch Dänemark mittlerweile relativ gut. Das beschränkt sich aber überwiegend auf die östliche Insel Seeland, im Speziellen Kopenhagen, denn dort habe ich Familie.
Mein Weg führt mich allerdings durch den mir etwas weniger bekannten Teil des Landes – Jütland. Hier war ich schon ab und zu an der Nordseeküste und bei Skagen, viel mehr habe ich von dieser Region Dänemarks nicht gesehen.
Das Schöne ist, wenn man an ein Land mit weniger Erwartungen heran geht, dann wird man meist positiv überrascht.
Im Vorfeld rechnete mit nervigen Hügeln, die ewig langsame Höhenmeter und Gegenwind versprachen.
Was ich bekam?
Drücken wir es so aus – ich wurde in vielen Ebenen überrascht und ziemlich gefordert. 😉
Nachdem ich in Schleswig-Holstein dem Heerweg/Ochsenweg gefolgt bin und von dem auch schon sehr begeistert war, folgte ich dem Hærvejen bzw. EuroVelo 3 einfach weiter. Den Hærvejen kann man übrigens auch gut zu Fuß machen, der Streckenverlauf kreuzt sich des öfteren mit dem Radweg, so trifft man unterwegs auch immer mal wieder Pilger.
Dieser führt von der Deutschen Grenze ab Padborg bis nach Frederikshavn an der Ostseeküste.
(Notiz:Ursprünglich war der Nordseeküstenradweg entlang der wunderschönen dänischen Küste geplant, wäre aber wieder mit einem Umweg verbunden und sehr Windexponiert)
In Flensburg ging es los bei bestem Sonnenschein, etliche Höhenmeter hinauf bis ich bald die dänische Grenze erreicht hatte.
Hier gab es ein lustiges installiertes Sprechrohr, mit dem sich früher die Grenzbeamten unterhalten konnten. Zwei Trichter, mit einem unterirdischen Rohr verbunden war das quasi die altmodische Funkverbindung nach Dänemark.

Auf hubbeligen historischem Weg ging es auf die dänische Seite. Um einmal kurz über den Gendarmstien nach Padborg zu kommen.
Ab hier: wieder beste Beschilderung und gute Radwege.
Ein Moin wird zu einem freundlichen Hej, Wald wird zu Industriegebiet und bald wieder zu Wald. Ich folge der top Beschilderung des Hærvejen.
Vorbei an den ersten Wegweisern zu Shelterplätzen. Auf die hatte ich mich im Vorfeld gefreut, war aber auch etwas nervös, da ich solch Schlafplätze noch nie genutzt habe.
Der erste Tag auf dem Hærvejen führt mich durch Wald und Feld. Manchmal über ruhige Landstraßen, beste Fahrradwege und Feldwege mit ordentlich und schlecht zu befahrenen Schotter. Es ist warm, ich fahre viel durch die pralle Sonne und mache mir so viel Kopf um Dinge wie: wo bekomme ich frisches Wasser her? Was mache ich, wenn mein Handyakku leer ist, wo lade ich das Ding auf? Habe ich genug zu Essen dabei? Vieles davon rührt von der wenigen Erfahrung, wenigem Selbstvertrauen, oder war einfach wenig rational.
Spoiler: Diese Gedanken begleiten mich noch sehr lange.

Ablenkung finde ich entlang des Weges in Form eines Schildes nach Bommerlund, denke mir noch, dass sei Zufall. Habe den Ohrwurm vom Eisgekühlten Bommerlunder im Kopf und finde ein weiteres Schild auf dem steht, dass der bekannte Schnaps tatsächlich aus Bommerlund stammt und nur bekannt wurde, weil ein erschöpfter französischer Reiter am Hof von Bommerlund Obdach fand und den Bauern als Dank ein Rezept für dieses Getränk überließ.

Gegen Nachmittag suche ich via Shelter App eine Unterkunft hinaus. Diese liegt direkt neben einem Hof. Dort gibt es eine Zeltwiese mit Picknick-Tischen, Feuerstelle und die Scheune nebenan verfügt sogar über Dusche, WC und Küche. Und nicht nur das! Gegen eine kleine Spende kann man sich dort aus dem Kühlschrank Getränke oder sogar eine Tiefkühlpizza holen. Ein Bettenlager existiert ebenfalls.
Mich kommen die beiden süßen Hofhunde besuchen, ich nutze die Gegebenheiten und beobachte anschließend den Sonnenuntergang.

Dann geht es weiter, es wird wärmer und ich fahre viel durch die pralle Sonne. Die Gegend um mich herum bleibt ländlich und es nähert sich dem Pfingstwochende. Das erste Shelter, dass ich in einem Naturschutzgebiet auftue ist besetzt von Typen und ihrer lauten Musik und ordentlich Blut im Akohol, ich fahre schnell weiter und pedaliere etwas bergauf und bergab. In mir wächst die Sorge, dass es bei jedem Shelter so sein könnte. Kein so schöner Gedanke.
Im letzten größeren Ort gehe ich nochmal einkaufen und rolle die nächsten Kilometer mit ziemlich schlechter Laune durch die pralle Sonne entlang einer viel befahrenen Straße (allerdings auf separaten Fahrradweg ;)).

Diese Laune erhellt sich, als ich das Shelter erreiche, welches ich mir raus gesucht hatte. Dort waren vier Shelterhütten, in der Nähe eines Parks zwischen Bäumen und ein WC, mit der Möglichkeit Wasser und Strom zu zapfen.
Ich war so gut wie alleine an diesem Ort, später sollte sich noch ein deutsches Pärchen etwas weiter weg mit einem Zelt nieder lassen. Besuch bekam ich also nur von einem etwas aufdringlichen und Zecken übersähten Kätzchen. 🙂

Die erste Nacht in einem richtigen Shelter war wunderbar ruhig und gar nicht so mückig wie gedacht. Und ich wurde durch das morgentliche Vogelkonzert geweckt.
Kurz hinter dem Ort fand ich bei Zufall ein altes Gräberfeld mit einem imposanten Schiff aus Stein. Auf einem der Fintlinge kann man bis heute noch die Runen erkennen. Das Denkmal wurde von einem gewissen Ravnunge-Tue für seine Mutter Vibrog errichtet. Dessen Frau Thyra bekam einen eigenen großen Grabhügel daneben. Die Frauen hatten wohl in diesem Teil Dänemarks einen besonders hohen gesellschaftlichen Stellenwert – schön zu lesen.

Weiter ging es durch wunderschöne Heidelandschaft, die ihren Duft in der Sonne verströmte.
Das nächste Ziel war Jellinge, hier wurde es überraschend hügelig und windig. Bei jeder Abfahrt musste ich gegen den Wind pedalieren – ziemlich nervig! Vor allem, wenn man sich mit der Abfahrt eigentlich belohnen wollte.
Jellinge ist historisch gesehen so etwas wie der „Geburtsort Dänemarks“. Der bekannte Harald Blauzahn ließ hier Dänemark als ein Reich ausrufen und setzte somit die Grundlage für das Dänemark, das wir heute kennen. Neben dem UNESCO Weltkulturerbe, dem Jellinge Runenstein, gibt es hier ein Museum und ein riesiges Hügelgrab in dem Harald Blauzahn beigesetzt wurde. Um hier einen kleinen Kreis zu schließen: Harald Blauzahn gilt auch als „Auftragsgeber“ des Danewerks bei Schleswig, an dem ich im Vorfeld ich auch schon vorbei gefahren bin.

Die Eisdiele neben dem Museum kann ich leider nicht empfehlen, es sei denn Du stehst auf nicht besonders gute Mini-Eiskugeln im Wert von 5 Euro. 😉
Das Museum ließ ich leider auch ausfallen, an dem Tag war ich einfach zu erschöpft und wollte irgendwann an meinem Shelter, das ich mir raus gesucht hatte, ankommen. Es ging wieder viel auf und ab. Mit Wind, praller Sonne. Diese vielen Anstiege hatte ich so nicht auf dem Schirm gehabt.
Bald kam ich in ein Bereich Jütlands den ich so überhaupt nicht erwartet hatte.
Mich empfing kurz vor dem Ziel ein wunderschönes Waldgebiet mit dicken knorrigen Eichen, vielen Hügeln, Schotterweg und hier und da erhoben sich Hügelgräber in den Lichtungen.
Hier entspringt auch der Fluss Gudenåen, der größte Fluss Dänemarks.

Ich hatte die Wahl zwischen zwei Sheltern und entschied mich für‘s falsche. Dort saßen ein paar Dänen, die leider im laufe des Abends mehr Alkohol als nötig tankten und etwas – sagen wir mal – nervig wurden.
So wurde ich kurzerhand von einer netten dänischen Großfamilie adoptiert, durfte mein Zelt im Garten ihres Ferienhaus‘ aufschlagen, bekam Kuchen und durfte einen Abend am Lagerfeuer genießen. Vor allem der elfjährige Sohn wich an dem Abend nicht mehr von der Seite und quetschte mich mit nahezu perfektem Englisch über meine Reise aus.
Warum ich das ganze allerdings ohne E-Bike mache, das war ihm bis zum Ende ein Rätsel. 😉

Am nächsten Morgen brach ich früh auf, wollte ich die Gastfreundschaft nicht noch länger ausnutzen und rollte durch den friedlichen morgendlichen Wald. Ein wunderschönes Gebiet – eines der Gebiete die mich für Dänemark sehr überraschten. Zuerst sanfte Hügel, Heide und Seen, später dichter Wald und etwas knackige Anstiege.
Was mir zu dem Zeitpunkt aber noch nicht klar war, dass ich unwissentlich auf die dänische Bergetappe zu pedalierte. Mir schwante aber, als ich das Schild mit der Steigung des Ansøvej erblickte, schreckliches.

Über eine Strecke von 1438 Metern gab es 72 Höhenmeter – bei einer Steigung von 14,9%.
Das erklärte auch die leicht amüsiert wirkenden Rennradfahrer, die mir bisher entgegen gekommen waren.
Der erste Teil der Steigung war noch relativ unspektakulär, zog aber dann stetig an.
Radler kamen mir bergab entgegen und grüßten, manche gaben Daumen nach oben oder riefen mir aufmunternd zu. Fluchend und ächzend, pedalierte ich also über mehrere Minuten Meter für Meter hinauf. Kämpfte gegen den inneren Drang ab zu steigen und zu schieben an – und gewann!
Kurz vor dem Gipfel überholte mich eine Rennradfahrerin und feuerte mich die letzten Meter nochmal ordentlich an.
Geschafft! Im Schatten der Bäume gönnte ich mir meinen verdienten Spanndauer (Blätterteiggebäck mit Vanillepudding und viel Zuckerguss ;)) und hoffte auf die Abfahrt. Heute war auch wenig Wind, da könnte das sogar klappen ohne zu kurbeln. Die Abfahrt ließ aber noch eine ganze Weile auf sich warten. Es ging weiterhin überraschend viel bergauf. Und dann kam sie, die lang ersehnte Abfahrt! Welch Wohltat! Leider traue ich mich mit dem vielen Gepäck nicht so schnell zu fahren, daher hab ich auch ziemlich viel gebremst. Und die Bremsen haben auf der Strecke ganz schön leiden müssen.
Aber eine Abfahrt im Schatten, dem wunderschönen Wald um mich herum und ganz ohne Gegenwind! Es war einfach ein wunderbares Gefühl in dem Moment – ich konnte sogar den Respekt vor dem Rest der Etappe verdrängen. Denn nicht nur die Höhenmeter sollten mich fordern, auch die Länge der Distanz…
An einer Kirche gönnte ich mir dann ein bisschen Rast im Schatten, ließ mein Handy am WC laden und fütterte meinem Körper Flüssigkeit und Kohlenhydrate zu.
Danach ging es mit guter Laune weiter. Heute war ein wunderbarer Tag!

Der Stress am letzten Abend schien auch etwas verarbeitet und mich vielleicht sogar an zu treiben. So ging es also weiter entlang einer weiteren historischen Stätte nahe Silkeborg. Hier fand einst eine blutige Schlacht zwischen drei Königen (Svend, Knud und Valdemar) statt. König Valdemar gewann diese Schlacht, das Ende eines Krieges der elf Jahre angedauert hatte und war der Beginn der Valdemarstiden – des Valdemarschen Zeitalter. In dieser Zeit (im Jahre 1157) wurde auch die dänische Flagge in der jetzigen Form etabliert.
Heute ist es ein sehr unscheinbarer Ort inmitten Feldern und Höfen.
Der Flow hält heute an, was gut ist, denn heute stehen knapp 80 Kilometer auf dem Plan.
Kaum habe ich den leichten Part durch die Felder hinter mich gebracht führt der Weg nun in ein weiteres, atemberaubendes Gebiet. Es geht wieder einige Höhenmeter hinauf. Die Landschaft gleicht hier auf einmal nördlicheren Gefilden wie Schweden, Norwegen oder Schottland. Flechten, Heidekraut, Hügel, dichter Wald und eine grandiose Sicht über den blauen Hald Sø!

Leider ist momentan Feriensaison in Dänemark, so verweile ich nur kurz am trubeligen See und lasse mich die letzten Kilometer in Richtung Viborg rollen.
Es ist sehr heiß heute, ich merke die Müdigkeit, als ich durch die alten Kopfsteinpflaster besetzten Straßen der schönen alten Stadt rolle.

Vorbei am Dom zu Viborg. Hier endet der historische Part des Pilgerwegs. Dennoch kann man auch weiter bis nach Frederikshavn, oder in Richtung Hirstshals pilgern.
Muse, tiefer in die Altstadt ein zu tauchen, empfinde ich zu diesem Zeitpunkt leider nicht mehr. So führt mich der Weg direkt zum Campingplatz und ich verbringe meinen Abend am See, mit der Aussicht auf Sonneuntergang und Altstadtpanorama.

Was für ein wunderschöner aber anstrengender Tag! Zufrieden krabbel ich am Abend in den Schlafsack.
Das ist ein Tag der gut lief, an dem ich mental und körperlich das Beste raus geholt habe.
Und dennoch bleibt sie – die Unsicherheit. Das Warum, der letzten Wochen verwandelt sich allerdings zögerlich in etwas – es wird zu einem Darum. 🙂
Die Einsamkeit ist nicht mehr das Problem, dass sie am Anfang war. Es fällt mir zunehmend leichter mit Fremden ins Gespräch zu kommen, bzw. ich quatsche einfach fremde Leute an, wenn sie so aussehen als wären sie an einem Gespräch interessiert – sowas gab es ja noch nie! ;D
Aber Ängste sind nicht leicht ab zu schütteln. Manche sind rational, manche nicht rational.
Ich habe viele tolle Erfahrungen gemacht und wenige negative, doch die negativen werden zuweilen sehr laut.
Ich zweifle zuweilen an vielem; an mir, an der Reise, an meinem Körper, meiner Kraft – durch die Krankheitsepisode im Vorjahr habe ich viel Kraft und Körpergefühl verloren.
Es gibt einfach Tage, an denen ich keine Kraft habe, ich dennoch weiter fahre und es wandelt sich immer zum Guten. Beinahe jeder Morgen ist ein Kampf gegen mich selbst, sitze ich aber auf dem Rad und bin die ersten Kilometer gefahren, verfliegen die Bedenken.
Und so findet auch ein Lernprozess in diesen Wochen statt.
Ich lerne auf die harte Tour, dass ich mehr essen muss, dass mein Körper Pausen braucht – und genau das ist gut so.
Oft habe ich den Gedanken, dass ich hier erst einmal alle Schichten von mir abtragen muss, um dann wieder alles neu auf zu bauen. Schicht, für Schicht, für Schicht. Und manche Schicht legt nunmal unschöne Dinge frei.
Aber Tage wie heute geben mir das nötige Selbstvertrauen, bauen mich auf, geben mir gleichzeitig die Kraft, die ich brauche, um aus dem Warum ein Darum zu machen… 🙂
Fortsetzung Folgt…

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