All Is Soft Inside
Von Anfang an mein Ziel, das ich seit Start dieses Trips zwar immer vor Augen hatte, aber ehrlicher Weise innerlich nie daran geglaubt habe, sie zu erreichen.
Und nun stehe ich bei grauem Nieselwetter am Hafen und warte dort mit anderen Mädels aus meinem Hostel-Zimmer auf das Schiff.


Für Fußgänger und Radfahrer ist die ca. drei Stunden lange Fahrt kostenlos.
Das Schiff legt an, spuckt erst Fußgänger, Radler und dann Autos aus.
Es hat noch ein Vorteil, dass man zu Fuß oder mit dem Rad da ist. Das große Gepäck wird in einem Schrank verstaut und fest gezurrt, dann darf man sofort hoch an Deck und sich die besten Plätze am Fenster sichern.
Ich erbeute mir einen gemütlichen Platz in der zweiten Reiche und warte darauf, dass das Schiff ablegt. Die Sitze werden voller.
Wir legen ab und die arktischen Berge von Bodø verabschieden sich im Grau.
Hier und da fährt das Schiff an Schäreninseln vorbei. Auch hier finden sich vereinzelt Häuser.

Ich beschließe an Deck zu gehen um einen besseren Blick auf die Inseln zu erhaschen und gebe meinen Platz auf – ein Fehler, den ich nicht hätte machen sollen!
Draußen ist es nass und kalt. Der Wind rauscht und lässt einen schnell auskühlen. Bis zum Zittern halte ich es aus, dann zieht es mich zurück in die warme Fähre.
Dort suche ich länger nach einem neuen Sitzplatz.
Ein älteres Ehepaar winkt mir zu, neben ihnen sei noch ein Platz.
Sie kommen auch aus Deutschland. Sie erzählen mir, dass sie auf ihrer „letzten Großen Reise“ sind. Dabei wirken sie überhaupt nicht wehmütig, eher so, als würden sie all das noch einmal sehr auskosten und genießen.
Zufriedenheit, etwas, was einem oft im erwachsenen Alter abtrainiert wird – höher, besser, reicher… Und am Schluss sitzen wir unzufrieden auf unserem Topf voll Gold.
Im leichten Schaukeln des Schiffes holt mich bald die Müdigkeit ein und die Unterhaltung verebbt etwas. Ich döse vor mich hin. Denke nach, höre Musik. Und irgendwie kommt auf einmal diese Ruhe.
Jetzt ist es egal, nun bin ich hier…
Bald schon zeigen sich, noch halb von düsteren Wolken verborgen die Inseln am Horizont.
Ich versuche an Deck ein paar Fotos zu machen, aber der Wind drückt mir schon so fest die Tür zu, dass ich seine Drohung ernst nehme und nur kurz draußen verweile.

„Oh, it’s magical“, höre ich wieder die Worte der Australierin.
Ja, das ist es!
Als wir auf den Hafen zu fahren sehe ich all diese Farben im Grau.
Eisblaues Wasser, grauer Fels, grünes Moos in allen Tönen, die es so hergibt. Weiße schäumende Wasserfälle, die die Felswände runter stürzen.
Staunen. Pure Ehrfurcht.
Wie klein und unwichtig wir Menschen doch sind. Wir brauchen die Natur, aber sie nicht uns…
Ja, eigentlich sollten wir ihr dankbar sein, dass sie uns in ihr wohnen lässt.
Und als das Festland zum greifen nah ist, bricht ein einzelner Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Bringt Moos und nassen Fels zum schillern…
Es fügt sich alles zum Richtigen – immer, irgendwie.
Kurz darauf ist der Sonnenstrahl wieder verschwunden.

Unten im Schiff treffe ich noch ein paar Mädels aus dem Hostel, sie alle wollen nach Å i Lofoten, ich habe ein Zimmer in der Nähe von Reine.
Dort werde ich ein paar Nächte bleiben.
Wir verabschieden uns, vielleicht sehen wir uns ja nochmal.
Mein Bus spuckt mich kurz vor meinem Häuschen aus, es läuft Joane Osborne – One Of Us und will so gar nicht zum Gefluche des Fahrers passen. Dieser regt sich (zurecht) über die Fahrkünste der Wonwagenfahrer auf. Neue Schimpfwörter lerne ich leider nicht.
Werde aber ob des lauten „Faen Tyskene! Helvete!“ (dt. = Teufel nochmal, die Deutschen! Was zur Hölle!) in meinem Sitz immer kleiner und bin ganz froh, dass mein Norwegisch für den Ticketkauf ausgereicht hat.
(An dieser Stelle lasse ich mich nicht über das Fahrverhalten deutscher Wohnwagenbesitzer:innen aus… Fredmscham trifft es wohl am besten.)
Als ich ankomme bin ich die Einzige im Haus und beziehe gleich mein Zimmer, mit Blick auf die Bucht.
Wie wunderschön!

Nach einem kurzen Einkauf und Abendessen mache ich noch einen Spaziergang zur nächsten kleinen Insel, besteige einen kleinen Hügel mit Aussichtspunkt. Springe über Steine und sauge alles in mich auf.
Als ich über die Brücke laufe, sehe ich unter mir im klaren Wasser so viele Fische! Kleine, große, weiße, dunkle… Die Küste hier lebt – und wie!
Zuvor hatte ich auch von einer aktuellen Schwertwal-Sichtung gelesen, mein Blick geht immer wieder hinaus auf die See. Doch keine Wale in Sicht. Leider sollte das auch so bleiben.
Die Tatsache heute in einem eigenen Bett zu schlafen, mit niemanden kommunizieren zu müssen und einfach mal so lange liegen zu bleiben, ohne am Morgen meine Ausrüstung zusammen zu packen, fühlt sich genauso an wie Urlaub.




Lange sitze ich auf einem überraschend warmen Felsen und schaue über das Meer, dieses tiefblaue Wasser – und das ganz ohne Sonne. Die Meeresoberfläche ist beinahe wieder so ruhig wie gestern.
Diese Momente sind manchmal schwer und dennoch leicht. Gerne würde ich solche Momente teilen, lasse aber mein Handy bewusst in der Tasche.
Wie geht das denn, diesen Moment zu teilen? Fotos verschicken, ein bisschen Text dazu?
Aber transportiert das wirklich den Moment? Den Geruch vom Meer und der süße Geruch der Blumen um mich herum? Das Gefühl des Felsens auf dem ich sitze? Das kristallklare blaue Wasser, diese Ruhe, die überall spürbar ist?
Wie teile ich das?
Grübelnd sitze ich noch eine Weile auf meinem Felsen.
Denn, wenn ich das alles nicht richtig teilen kann, dann versuche ich wenigstens die Erinnerung nur für mich zu konservieren. So wie sie ist, ohne Ablenkung, ohne den Versuch Dinge zu erklären.
Und vielleicht, ja vielleicht gibt es irgendwann wieder Menschen, mit denen ich bald wieder echte Erinnerungen sammeln kann – zusammen.
All araound is stone
All is soft inside
Aurora – All is soft inside

In dieser Nacht ziehe ich die dunklen Rollläden ganz runter und schlafe so lang und erholsam wie schon lange nicht mehr.
Das Wetter am nächsten Tag ist immer noch bedeckt, dennoch will ich auf einen Berg mit der Hoffnung, dass sich die niedrig hängenden Wolken verflüchtigen. Doch sie werden die Inseln den ganzen Tag in einem grauen Umhang verhüllen.
Ich laufe an der Straße entlang in Richtung Reine, bestaune immer noch das blaue Wasser und die roten Häuschen. Träume davon mir genau hier eines zu kaufen und den ganzen Tag raus blicken zu können.
Trotz des vielen Verkehrs (ich übertreibe nicht, ab dem Tag war ich einfach nur glücklich wirklich nicht mit dem Rad her gekommen zu sein), fühlen sich die Lofoten so unfassbar ruhig und wohlwollend an. Mir ist klar, dass sie sicher auch anders können. Mit eisigem Wind und purer Rauheit. Aber mich empfangen sie eben freundlich – Dinge fügen sich eben.



Bei Reine treffe ich noch zwei Schwedinnen, die genauso verloren wie ich vor dem Baustellenschild stehen, das uns auf einmal den Weg versperrt. Dürfen wir als Fußgänger nun dort lang oder nicht? Auf der Straße durch den Tunnel zu laufen, fühlen wir alle nicht so. Also schlängeln wir uns am Schild vorbei und haben keinerlei Probleme.
Am Ausgangspunkt für meinen Gipfelsturm wartet sogar ein französischer Guide, der allen Touris Infos zur Wanderung gibt.
Puh… Aber was für ein geiler Job für den Sommer!




Der Reinebringen ist ein sehr einfacher und bekannter Aussichtspunkt – deswegen erlaube ich mir auch ihn beim Namen zu nennen.
Auf ca. 2000 Stufen, die von nepalesischen Sherpas verlegt wurden (warum auch immer?), schlängelt sich der Weg ziemlich steil nach oben. Dafür macht man sehr schnell Höhenmeter. Und durch das schlechte Wetter sind gar nicht so viele Touristenhorden unterwegs.
Je höher es geht, desto mehr verliert sich die Aussicht im Grau. Oben angekommen Wind und Wolken. Dennoch verweile ich etwas. Schaue anderen Wanderern zu, wie sie den Grat zum nächsten Gipfel gehen. Oft hört man später nur noch die Stimmen von ihnen.
Klar, ein freier Himmel und tolle Aussicht wären schön gewesen, aber ich mag die Stimmung im Nebel am Berg.
So sind sie eben, die Misty Mountains.




Bald wird es kalt und ich trete den Rückweg an, kaufe mir noch Postkarten und Briefmarken, etwas zu Essen und laufe zurück.
Im Häuschen angekommen treffe ich auf ein älteres schwedisches Pärchen. Wir unterhalten uns kurz, aber jeder lässt dem anderen genug Raum.
Sie kommen aus der Nähe von Stockholm und haben einen Kanuverleih. Sie machen sich darüber lustig, dass hier eine Stunde Kajak fahren um gerechnet 200€ (!) kosten. Bei ihnen zahlt man für ein Wochenende 60 €.
An diesem Abend gehe ich früh ins Bett und schlafe wieder hervorragend.
Morgen soll das Wetter besser werden und ich habe eine wunderbare Wanderung vor mir…



