Über den Polarkreis

Über den Polarkreis

Am nächsten Tag saß ich also im Zug nach Trondheim.
Bei schönstem Wetter rollte ich nun etwas nervös gen Norden – ohne Sitzplatzreservierung (welche in Norwegischen Schnellzügen eigentlich Pflicht ist, aber leider haben sich Interrail und die norwegische Bahn App nicht so gut verstanden und es war einfach nicht möglich nur Sitzplätze zu reservieren).
Natürlich kam bald der Schaffner und wies mich nett, aber bestimmt darauf hin, dass ich ja einen Sitzplatz bräuchte. Ich spielte den dummen Touri (böse Zungen würden behaupten das müsste ich nichtmal spielen ;)) und bekam später sogar persönlich noch einen freien Platz zugewiesen.
Als ich fragte, ob ich die paar Kronen noch nachzahlen soll, winkte er nur lächelnd ab und sagte, ich solle mir davon einen Kaffee kaufen.
Wieder einer von den tollen Menschen, die einfach nett und hilfsbereit sind. Wieder einer der Menschen, die mir zeigen, dass doch nicht alles aus Missgunst und Egoismus besteht. Wieder ein Mensch, der ohne zu wissen die Antwort ist, warum ich diese Reise mache.
Diese Bahnstrecke bin ich vor Jahren schon mal gefahren, zum Wandern ins Dovrefjell.
Damals wartete ein Orkan mit Hagel und einer ziemlichen Schlechtwetterfront. Heute ist das Wetter relativ freundlich und es steigen ein paar Wanderer aus. Sehnsüchtig schaue ich ihnen hinterher.
Wandern, das wäre auch mal was.
Die Berge des Fjells ziehen an mir vorbei und bald wandelt sich die Umgebung etwas. Es wird etwas lieblicher, mehr Wald und mehr Grün.
Ein bisschen wehmütig texte ich mit „zuhause“.
Etwas erinnert mich die Umgebung an das Allgäu.
Und dann bin ich auch schon in Trondheim. Am Bahnhof werde ich von Möwengekreisch und frischer Meeresluft empfangen.

Hier laufe ich nun bergan zum Hostel, Musik schallt in das Zimmer.
Unweit von meiner Unterkunft findet die nächsten Tage das Neon-Festival statt. Als ich in mein Bett krabbel singt gerade Tom Odell – Another Love. Es könnte schlimmer sein.
Nach einem kurzen Powernap gehe ich nochmal den Hügel hinab und will mir noch etwas die Stadt anschauen.
Die Sonne scheint, es ist warm. Ich gehe durch die Innenstadt, die süßen bunten Holzhäuschen säumen den Weg.

Der Weg führt mich am imposanten Nidarosdom vorbei, hier endet der Pilgerweg, der in Oslo beginnt. Leider bin ich etwas spät dran und der Dom ist schon geschlossen.
Viele Studenten, ein paar Touristen und das Schuljahr/Semester geht zu ende. Abschied hängt in der Luft. Ein komisches Gefühl.

Trondheim ist eine der Städte in denen man sich schnell zuhause fühlen kann. Zumindest geht es mir so. Und obwohl ich den Abend genieße, bin ich einfach nur müde. Statt 4 Bettzimmer hätte ich gerne ein Zimmer nur für mich. Ich genieße es in dem Moment hier zu sein, aber bin gleichzeitig nur müde und würde am liebsten die Decke über den Kopf ziehen.
Ich laufe wieder den Berg hoch, koche mir etwas und genieße die Aussicht aus dem Speisesaal. Hier scheint die Mitternachtssonne ihre warmen Strahlen untermalt von der Musik des Festivals.

Die Nacht wird durch die nicht vorhanden Rollläden etwas kurz. Die Mitternachtssonne bin ich nicht gewöhnt. So wache ich gegen 2 Uhr nachts auf und denke, dass ich verschlafen habe. Dabei scheint einfach nur die Sonne direkt in unser Zimmer.
Genauso gerädert wache ich am nächsten Morgen auf.
Für heute habe ich einen Sightseeing-Tag eingeplant. Ich fühle mich schlapp und müde. Laufe dennoch durch die Stadt zum Hafen und schaue den Segelschiffen zu. Immer und immer wieder ertappe ich mich bei dem unschönen Gedanken jetzt hier gerne Fahrrad zu fahren. Mit der Fähre überzusetzen und dann weiter in Richtung Bodø, immer der Küste nach Norden folgend.
Aber ich muss mich damit abfinden, dass es für mich morgen mit dem Bus weiter geht.
Ich löse mich vom Hafen und schlendere zurück durch die Straßen in Richtung Hostel zurück.
Dabei ist es so sommerlich warm.
Im Hostel angekommen, suche ich mir einen bequemen Platz im Aufenthaltsraum, genieße die Aussicht, lausche der Musik, schreibe Tagebuch und lese etwas.
Als ich Abends ins Bett gehe spielen mir das Kaizers Orchestra ein Gutenachtlied.
Das Wetter schlägt um, es ist sehr regnerisch und düster draußen – heute hätte ich super geschlafen, wäre der Wecker nicht so früh los gegangen.

So quäle ich mich aus dem Bett, packe meine Sachen, frühstücke unten im Aufenthaltsraum. Große Aufbruchstimmung im gesamten Hostel. Draußen tropft der Regen an den Scheiben hinab.
Dann laufe ich hinab zum Bahnhof. Der Zug nach Bodø fährt heute nicht (aber das ist man als Deutsche ja gewohnt) und so bin ich eine der ersten Personen, die sich in den Bus setzen.
Die beiden lustigen Busfahrer packen ihr Deutsch aus und finden es ganz toll, eine „echte Bayerin“ im Bus zu haben. (Ähm, ja… ^^°)
Der eine findet es ganz wunderbar, dass ich zu den Lofoten fahre und hält es für eine total verrückte Idee diesen Weg mit dem Rad zu fahren. Sowieso, warum sollte man in Norwegen Rad fahren. Aber er schwärmt mir von den Lofoten vor und wie toll es dort sein wird. Das macht Mut. Leider, erklärt mir einer von ihnen, gibt es dort weder Glühwein noch Aprés Ski – das kann ich gerade noch verschmerzen.
Als ich ihnen allerdings mein Interrail Ticket zeigen möchte (entwertet habe ich es zu dem Zeitpunkt noch nicht), winken sie ab. Damit hätten sie nichts zu tun, sie fahren nur Bus… So entwerte ich es auch erst mal nicht – und habe einen Tag zur freien Verfügung. (Wieder ein kleines Küsschen vom Schicksal :-*)

Die Fahrt dauert ewig, knapp 9 Stunden sitze ich am Fensterplatz und stehe nur einmal auf als wir in Mo I Rana eine Pause machen. Mal schlafe ich, höre Musik, mal schaue ich aus dem Fenster und nehme die landschaftliche Veränderung wahr.
Als wir den Polarkreis überfahren gibt es nochmal eine extra Durchsage von einem der Busfahrer, auch hier wieder auf Deutsch (für mich) und auf Französisch (für die Damen neben mir).

Hier sehe ich bald ein Rad reisendes Pärchen und bekomme sofort wieder Tränen in den Augen. Diese wunderschöne, unwirkliche Landschaft in diesem tollen Sonnenlicht. (Den Regen haben wir in Mittelnorwegen zurück gelassen) Ich halte Ausschau nach Rentieren und sehe das erste Mal in meinem Leben freie Kraniche.
Der Norden!
Für manche Menschen wäre diese Landschaft zu langweilig. Ich kann mich kaum daran satt sehen. So unwirklich ist das alles hier.

Vor Bodø wird es nochmal extra schön! Hier fährt der Bus nah am Skjerstadfjorden entlang.
Ach, wäre das nur alles mit dem Rad…
Und dann sind wir auch schon in Bodø – Kurlturhauptstadt 2024. Als Deutsche fällt es mir schwer, diesen Ort als Stadt zu sehen, aber da bin ich nun. Und ein kleiner Kreis schließt sich. Als ich in Dänemark für einen Abend bei einer dänischen Großfamilie im Ferienhaus adoptiert wurde, wurde ich dem Opa vorgestellt, der ursprünglich aus Bodø kam. Natürlich war er vom Beruf Ornitologe, was auch sonst?
Die Busfahrer heißen mich nochmal höchst persönlich in Bodø willkommen und wünschen mir eine wunderbare Zeit auf den Lofoten.
Ich checke im Hostel ein. Das ist wohl eines der nicht so schönen Dinger, ich fühle mich nicht sonderlich wohl.

In der Küche treffe ich auf eine Frau, die verzweifelt nach was zu essen sucht – es ist Sonntag und alle Geschäfte zu. So bekommt sie von der Inhaberin einen Teil ihres Abendessens. Frischer Fisch mit Reis.
Hier trifft die Küche und Gastfreundschaft des Balkans auf die der Nordnorweger. 🙂
Wir kommen ins Gespräch.
Sie kommt eigentlich aus Australien und ist Musikerin. Die letzten Jahre ist sie mit ihrer Gitarre durch Europa gereist und irgendwie von ihrer Musik gelebt. Aber irgendwann ist ihr das zu viel geworden und sie hat sich einen Job auf den Lofoten gesucht. Etwas zur Ruhe kommen, einen geregelten Tagesablauf haben und mal eine feste Bleibe.
Ich erzähle ihr warum ich diesen Trip mache. Zwei Frauen mit verschiedenen Vorgeschichten aber an ähnlichen Punkten im Leben.
Auf meine gemischten Gefühle der Abgebrochenen Tour meint sie nur: „Oh, this is such a precious decision! You should be proud!
Sie gibt mir eine große Umarmung. Vielleicht für mich, vielleicht für sich selbst… Wer weiß das schon.
Wieder ein Mensch, der vom Schicksal geschickt wurde. Eine Begegnung über die die lange nachdenke und die mir bis heute nicht aus den Kopf geht. Und eins ihrer Lieder wird für immer ein Teil der Erinnerungen an die Lofoten sein…
Am Abend gehe ich noch kurz am Hafen entlang. Bodø selbst ist nicht gerade die schönste Stadt, aber die Gegend herum ist so wunderschön!
Und während ich müde im Hostelbett liege und neugierig bei der Musik der Australierin rein höre, denke ich viel nach.

Für den nächsten Tag habe ich mir eine kleine Wanderung heraus gesucht und mache mich trotz akuter Unlust auf. Die Sonne ist so warm, dass ich mit T-Shirt herum laufe und die See so glatt – es geht kaum Wind.
Ich laufe ein kleines Stück durch Wald und Gestrüpp den Berg hoch und gelange an einen schönen Aussichtspunkt. Dort beschließe ich eine Pause zu machen, lege mich auf den warmen Fels, döse etwas, genieße die Aussicht und gehe meinen Gedanken nach.

Ich beobachte die Hurtigruten, die mit einem lauten Hornstoß in den Hafen einfährt. Schaue den Fähren in Richtung Lofoten fahren sehnsüchtig hinterher.
Diese Landschaft! Man kann sich gar nicht daran satt sehen.

And there′s a way the sun touches the mountain peaks
And a way the red flowers rest languidly in the breeze
Oh the summer air the day brings is warm, forgiving and sweet
So I go down to the river, where the water’s blood runs
The spot in which I′ve gazed upon a thousand setting suns
And I can hear the boat calling me

Maddi O‘Brien – Down By The River

Skrubbær – Schwedischer Hartriegel (Cornus suecica)

Und dann erreiche ich dem Punkt, an dem ich wieder Mut und Kraft schöpfe.
Auf einmal ist da wieder diese Reiselust!
Irgendwo zwischen Fels, Meeresluft und Sonnenstrahlen habe ich sie wieder gefunden.
Von Osten her kommt ein Unwetter angerollt. Es breitet sich bedrohlich über den arktischen Bergen auf.
Ich laufe noch etwas die Höhenlinie ab, finde ein Shelter.
Wie wunderschön wäre es hier zu schlafen…

Dann geht es nochmal in die Stadt hinein. Dort wo Nobelhotels und Kreuzfahrtschiffe aufeinander treffen. Ein bisschen Streetart wartet und der Regen los prasselt.
Im Hostel unterhalte ich mich heute kurz mit einer Schweizerin. Sie wird morgen auch in Richtung Lofoten fahren. Wir werden die gleiche Fähre nehmen.
Als ich einschlafe bin ich positiv aufgeregt und die Worte der Australiern gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. „Oh, the Lofoten. It‘s just magical!
Und morgen ist es so weit!

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