Du hast die SD-Card vergessen…*

Du hast die SD-Card vergessen…*

Der Fels spendet Schatten, das schmelzende Schneefeld dort über mir schickt ein kleines, tropfendes Rinnsal an ihm herab.
Obwohl der Hang nordwärts ausgerichtet ist, brennt die Sonne ohne Erbarmen herab.
Mein Atem wird langsamer, ich gönne mir den ersten ausgedehnten Blick hinab. In die Schlucht, welche weit unter mir liegt. Schwindel erregend liegt sie dort in der Tiefe. Ein Moment in dem mir unter normalen Umständen das Herz in die Knie oder noch tiefer gerutscht wäre. Ich lehne mich gegen den Fels und er kühlt meinen Rücken. Es gibt kein zurück! Jetzt steht es fest! Schnell packe ich das Trinken weg und schultere meinen Rucksack. Den Blick kann ich während dessen nicht vom Abgrund nehmen. Er fesselt, bannt mich mit seiner schroffen Schönheit! Zieht mich schauerlich-magisch an…

Der Weg ist das Ziel. Das erste Mal in meinem Leben wird mir dieser Satz so wirklich vor Augen geführt! Nicht der Gipfel, der über mir thront, der Weg begeistert bei dieser Tour.
Als mich der Bus an der Landstraße mitten in der Landschaft ausspuckt, bin ich eine von drei Personen die den Weg in die selbe Richtung einschlagen.
Zuerst Forststraße durch den typischen Fichtenwald. Er spendet Schatten und es ist trotz den bereits steigenden Temperaturen angenehm kühl. Gleichzeitig verströmen die Kiefern einen angenehmen aromatischen Geruch.
Bald erreiche ich den gewünschten Wegweiser und betrete die Wolfsschlucht.
Immer am, über und durch den Bach führt mich der Weg. Ich halte meine Hände hinein und kühles, glasklares Wasser umspielt meine Hände.**


Weiter geht es schließlich in die Große Wolfsschlucht, wo mich ein Schneefeld überrascht. Es ist so abgetaut, dass es eine Art Tunnel bildet. Als ich durch den Tunnel gehe tropft es von der Decke und sorgt für eine angenehme Abkühlung. Doch es ist kein Durchkommen, der Tunnel endet in einer Sackgasse und so klettere ich die Verschneidung zwischen Eis und Felswand hinauf, um schließlich darüber hinweg steigen zu können.


Als ich um die Ecke biege tut sich ein unglaublicher Blick auf. Links rauscht ein Wasserfall die Felswand hinab, um mich herum ein Bollwerk aus grauem Gestein. Die Sonne lässt die Gischt des Wasserfalls wie kleine Perlen schillern.
Und so verweile ich nur kurz um schließlich beherzt den kleinen Klettersteig in Angriff zu nehmen.

Ab hier startet der kleine Klettersteig

Erst etwas unsicher, dann mit mehr Zuversicht klettere ich die Wand hinauf. Nehme ab und zu das Drahtseil zur Hilfe. Die Aussicht wandelt sich: Kam ich mir soeben noch klein und verloren in dieser Schlucht vor, bin ich jetzt schon weit über ihr und kann auf sie hinab schauen. Sie wirkt zusammengekauert, sehr friedlich und beinahe sanft.
Schnell geht es bergan, die Sonne brennt unaufhaltsam auf mich herab und die Felswand läd sich immer mehr mit Hitze auf. Bei jedem kleinen Schattenplatz mache ich Halt. Versuche so oft wie möglich etwas zu trinken.
Die Kletterei macht dennoch unglaublich Spaß. Ich mag es wie sich das Profil der Wanderschuhe dem Fels anpasst, wie sich der Fels mal kühl, mal sonnenwarm anfühlt. Mag die kleinen Klimmzüge.
Als ich über mir einen Felsvorsprung sehe, beschließe ich dort eine kurze Pause zu machen. Ein Blick auf das Handy sagt mir, dass ich bereits die Hälfte Kraxelei hinter mir habe.
Glücklich lasse ich mich im Schatten nieder.
Unter mir zeichnet sich die Wolfsschlucht klein ab. Das Schneefeld kann ich von hier gar nicht mehr sehen. Mein Blick folgt dem Weg der sich stark in Serpentinen ansteigend dem Fels nähert und den Drahtseilen, welche die kritischen Stellen entschärfen.
Und auf einmal stocke ich. So hoch bin ich! So tief geht es dort vor mir hinab! Es ist so verdammt heiß!

Tiefer Abgrund ist tief! 😀

Ich schaue hinauf und stehe die steile Passage, welche mich erwartet.
Leise tröpfelt das Schmelzwasser neben mir den Fels hinab. Dieser Fels, der mich immer wieder mit purem Glück, aber gleichzeitig mit panischer Angst befällt
Der Fels, den ich lange Zeit so sehr vermisst habe. Der Fels, der mich oft in die Knie und an meine Grenzen gezwungen hat…

Der Abgrund zieht mich magisch an. Aber es gibt einen Unterschied zu sonstigen Szenen wie dieser. Ich habe keine Angst!
Ich fühle mich sicher. Kein „was wäre wenn–Gedanke“ macht sich breit. Das hier, das ist perfekt! In genau dieser Art und Weise.

Etliche Höhenmeter später erreiche ich einen kleinen Buchenwald.*** Er empfängt mich mit Kühle und auch dem typischen „Bergwald-Geruch“. Nach einer kleinen Verschnaufpause geht es die letzten Höhenmeter hinauf und bald gelange ich auf den Weg, der mich zum Gipfel führen soll. Hier blüht es auf den Wiesen. Und wie!

Mindestens drei verschiedene Enzian Arten, Arnika, die ulkigen lila Kugelblumen, diverse Nelken-, Primelarten und ich glaube auch ein paar Orchideengewächse erspäht zu haben. Und gefühlt jeder Stein liegt unter einer Decke aus weißem Silberwurz. Auch meine Freunde die Trollblumen wachsen hier in Scharen. Was für eine Augenweide für ein Blumenkind wie mich
Leider gibt es hier oben kaum noch Schatten und so versuche ich so schnell wie möglich zum Gipfel zu gelangen.

Der Ausblick nach Österreich.

Nachdem ich ein paar Minuten Pause gemacht habe, beginne ich den Abstieg. Leider ist ein Teil des Weges gesperrt und so mache ich einen kleinen Umweg, komme aber dabei an einer Alm vorbei um mir die beste kalte Spezi der Welt (!) zu gönnen. Um schließlich durch den Wald hinab zur Bushaltestelle zu wandern.
Am Tegernsee wird der überhitzte Körper erst mal bei 18 C° Wassertemperatur auf Trollniveau hinunter gekühlt. Die Füße und die Seele baumeln gelassen, die letzten Snacks verspeist, um dann im abendlichen Licht mit dem Zug zurück nach München zu fahren.
Was für eine wunder-wunder-wunderschöne Tour!
Ich glaube ich bin ein bisschen verliebt. 😉

Notizen:

Route: Die Wanderung kannst Du hier nach wandern.
Schwierigkeit: Es ist eine recht ruhige Tour, nur oben am Schildenstein hat man mehr Gesellschaft.
Vielleicht nicht für blutige Anfänger geeignet und man sollte schon halbwegs trittsicher und schwindelfrei sein.
Aber ich würde sagen: wer den Kofel schafft, ohne viel Angst und Mühe, kann mit ein bisschen mehr Ausdauer auch durch die Wolfsschlucht zum Schildenstein hoch. Sonst würde ich die ersten 50 Meter Kletterei mal probieren und schauen ob es sich gut anfühlt, schlimmer als hier wird es nicht mehr. 😉
Der Weg lohnt sich absolut!
Anreise: Die Anreise mit Bahn und Bus ist unkompliziert. Mit der Bahn von München nach Tegernsee und weiter mit dem Bus 9556 (in Richtung Kreuth) zur Haltestelle Siebenhütten.
Der Bus auch sehr gut auf die Abfahrt des Zuges abgestimmt und man kann sich auch ordentlich Zeit für die Tour lassen, da der Bus samstags zu recht humanen Zeiten fährt.****

* „Keine Speicherkarte,“ oder auch: Wie ich „trainingsbedingt“ knapp einen Kilo Kamerakram um sonst den Berg hoch schleppte… ^^°
** Wer nochmal eine Pinkelpause benötigt sollte sie bald in Angriff nehmen, danach wird‘s etwas deckungskarg. 😉
*** Jetzt hast Du es fast geschafft! Die Kraxelei ist (leider) vorbei und zum Gipfel ist es auch nicht mehr so weit. Zeit für eine kleine Pause. 😉
**** Ja, das war ein Lob an die Öffies! 😉

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