Kapitel 4: Ein Augenöffner

Kapitel 4: Ein Augenöffner

4. Etappe – Isarradweg
Bad Tölz (Arzbach) – Mittenwald

Nach einer echt bescheidenen Nacht, die mit Mücken jagen verbracht wurde, ging es nach einem reichhaltigen Frühstück los.
Der Wetterbericht meldete den ganzen Tag Regen, bis Abends und dazwischen über den Tag verteilt immer wieder „leichte Gewitter“.
Nun ist das so, dass man zwei Möglichkeiten für die Etappe nach Mittenwald hat.
Variante 1: Via Sylvensteinpass über eine Landstraße
Variante 2: An einer Bergflanke durch den Wald.
Aufgrund der Wettervorhersage hatte ich keine Lust auf Gewitter am Berg und habe mich so für die Variante über den Pass entschieden.

Bevor es los ging musste ich aber noch schnell den Getränkehalter fest schrauben. Was mit dem Multitool etwas umständlich war. So kam es aber zu einer ganz lustigen Begegnung mit dem Sohn der B&B-Besitzerin.
Als er mich schrauben sah, kam er gleich her um zu fragen ob man mir man helfen könne.
Ich verneinte und erklärte nur das ich nur was festschrauben muss und das mit dem Werkzeug etwas nervig wäre.
Er lachte nur und meinte: „A, I dacht‘ scho, du hät‘st an E-Bike!“
Lachend schüttelte ich nur den Kopf: „Dafür bin i noch a bissl z‘ jung.“
„Ha!“, er grinste weiter. „Du glaabst ned wie fui 20-Jährige da mit E-Bikes ummanand fahrn, hauptsach de begwegn ihre Fiaß auf und nieder.“
Nachdem wir dann festgestellt haben, dass wir beide eher so die „sportlichen Typen“ sind ging es für mich los.
Leider auch der Regen – der hatte natürlich gewartet bis ich wirklich in Fahrt war.
Also anhalten und Regenjacke anziehen. Bis Lenggries war es ein kurzes Stück und ich beschloss dort kurz Unterschlupf zu suchen. Bald wurde auch der Regen eeeetwas weniger und ich zog wieder los.
Die Regenhose nicht an zu ziehen war eine gute Idee, da ich meine Laufhose als lange Radhose benutze wurde die schon während dem Fahren fast wieder trocken.
Bald ging der Weg wieder schön an der kristallblauen wilden Isar entlang. Die sich ihren Weg durch breite Kiesbänke bahnt und trotz grauem Wetter funkelt.

Begleitet von lichten Birken- und Kiefernwälder über schönen knirschenden Schotterweg.
Leider führte der Weg langsam von der Isar weg und einer Landstraße entlang. Immer schön bergan und endete schließlich bei einer Radwegsperrung. Mist!
Also hieß es Landstraße! Bis zum Sylvensteinspeicher hoch. Wegen… Baustelle. Ich hasse Baustellen! Der personifizierte ‚Lebensfresser‘ in allen Belangen!
So ging es im Nieselregen weiterhin bergan, manchmal auch rasch bergab, um am Schluss nochmal schön Kurvenreich zum Sylvensteinspeicher hinauf zu schnaufen.
Auch hier muss ich wieder die Wahl zum leichten MTB loben.

Sylvensteinspeicher

Am Stausee machte ich eine kurze Pause und war etwas unbeeindruckt ob der Aussicht. Warum alle auf diesen Sylvensteinstausee abfahren – keine Ahnung. Lag vielleicht auch am Wetter, dass er nicht mit seinem Königsblau funkeln konnte.
Die Isar, die mir zur Rechten hin fließt, stiehlt ihm türkisfarben jede Show. Und so radel ich weiter. Auf der guten Asphaltstraße. Der Regen tropft erneut, es ist dampfig. Die Gipfel hängen im dichten Nebel verhüllt. Aber dennoch wird es langsam immer schöner, schroffer, wilder um mich herum. Wie auch der Fluss, dem ich folge.
Der Weg westlichen Seite der Isar entlang, wäre sicher schöner gewesen. Aber es ist unter der Woche, schlechtes Wetter und somit recht wenig motorisierter Verkehr. Die Autofahrer sind bis auf ein doofer LKW brav am Ausweichen. Nur ein Motorradfahrer muss mal wieder beweisen wie ‚toll‘ er ist und schert nach einem Überholmanöver auf Kuschelkurs viel zu nah wieder ein, so dass ich ziemlich in die Bremsen hauen muss um nicht mit ihm zusammen zu krachen…
Sonst ist die Strecke ziemlich eintönig, Landstraße ist einfach lahm… Als es das letzte Stück bis Vorderriss bergab geht lasse ich einfach laufen, ohne zu bremsen. Ganz schön schnell sind die letzten Kilometer. 😉
In Vorderriss steige ich kurz vom Rad, esse und trinke ein bissl, gucke auf den Fluss und ab und zu geben die niedrigen Wolken den Blick auf die Gipfel des Karwendels frei.
Hier wird es nun richtig schön!

Weiter geht es die letzten Kilometer nach Mittenwald, leider auch wieder über Landstraße, dafür noch weniger Verkehr, weil es eine Mautstraße ist. Für die ich als Radfahrer nichts zahlen brauche und grinsend an den Autos vorbei zuckel, die auf ihr Bickerl warten. 🙂
Der Weg geht jetzt auf Tuchfühlung mit der Isar, die sich hier durch das Tal schlängelt. Durch Kiesbänke die zeigen wie breit und groß dieser Fluss im Frühling sein muss.
Eigentlich würden in dieses Panorama auch ein paar Elche passen und man könnte meinen, man befände sich in Norwegen oder Kanada…
Hier und da mache ich mal Pause um zu gucken. Gucken tut Not!
Leider wird mir hier zum ersten Mal der große Nachteil vom Radfahren bewusst. Irgendwie ist man oft so schnell und so mit dem Weg beschäftigt (oder auch Verkehr), dass man gar nicht die nötige Zeit hat alles in sich auf zu nehmen. Und man will bergauf auch nicht dauernd stehen bleiben, wenn man gerade ein bisschen Schwung hat. 😉
Aus diesem Grund existieren auch keine Fotos von diesem Abschnitt. Aber ich wünschte zutiefst, ich könnte Dir die Bilder zeigen, die sich in meinen Kopf festgesetzt haben. Weil es einfach so, so, so überwältigend war!
So bleibt Dir nichts anderes übrig, als selbst mal nachschauen zu gehen. 😉

Als es nach oben geht, wird die Aussicht immer besser! Da liegt sie nun unter mir, die noch junge Isar. In einer tiefen Schlucht und schillert und glitzert dem Regen entgegen. Wolken ziehen zwischen den Felswänden entlang. Jeder Augenblick ein neues Motiv. Ehrfürchtig lasse ich das Panorama auf mich wirken. Mein Herz macht einen freudigen Sprung. 🙂
Das ist wieder einer von diesen perfekten unperfekten Glücksmomenten.
Bald geht es wieder bergab und ich komme an einem Golfplatz heraus. Keine Ahnung an wie vielen Golfplätzen ich auf meiner Tour schon vorbei gekommen bin. Es waren ein paar zu viele…
Aber das Tal, in dem der nächste Ort liegt, ist einfach so schön!
Weitläufig und doch sieht man überall um sich herum diese hohen Berge.
Auch das Wetter wird langsam besser und durch die Helligkeit am Horizont werden die Alpen durch einen nebeligen Vorhang frei gegeben. Ein Anblick, der mich innerlich jubeln lässt!
Leider habe ich auch hier keine Lust stehen zu bleiben – also kein Foto für Dich.
Nun geht der Weg eher unspektakulär an der Landstraße entlang in Richtung Mittenwald.

An meiner heutigen Unterkunft kann ich erst ab 15 Uhr einchecken und es ist erst Mittag. Also beschließe ich gleich ganz nach Mittenwald hinein zu fahren um noch etwas zu essen.
Und hier werde ich zum ersten Mal von den Schildern des Isarradwegs in die Irre, im Kreis und somit mindestens einen 5 Kilometer Umweg geleitet. Natürlich einige Höhenmeter hoch und runter. Bis ich schließlich bei Sonnenschein, aber total erschöpft und entnervt, in Mittenwald eintreffe.
Dort kaufe ich erst mal was zu Essen und setze mich damit an die Isar. Sonne tanken tut gerade ganz gut, auch das Essen.
Die Wolken verziehen sich immer mehr und so sehe ich bald so viele schöne Berge um mich herum, dass die Strapazen des Tages in weite Ferne rücken.

Bald kann ich dann meine Unterkunft beziehen und ich muss sagen: es hat sich gelohnt! Da spät dran war, mit B&B Reservierung musste ich erfinderisch sein, so wurde ich auf einem Campingplatz fündig. 😉

Für eine Nacht wie ein Hobbit nächtigen! 🙂

Das Abendessen wird mit den Füßen im Fluss zu sich genommen, während die Abendsonne die Berge um mich herum in sanftes Licht taucht.
Als es dunkel wird gehe ich noch ein bisschen Sterne gucken, schreibe eine weitere Postkarte.
Das „Nachbarskind“ hat mich in der Zwischenzeit belagert und verlangt jetzt sowas wie soziale Interaktion mit ihm.
Die Mutter unterhält sich kurz mit mir und sagt das Wort, über das ich diesen Abend noch etwas nach denken werde: „So eine Reise entschleunigt bestimmt total!“

Entschleunigt? Bisher fühlt sich das eher nach Beschleunigung an. Da ist zu viel womit der Kopf beschäftigt ist und wenn es nur der Gedanke daran ist, dass ja der Reifen platt sein könnte. Da ist immer eine Deadline wann man spätestens an der Unterkunft sein müsste. Irgendwie habe ich mich die letzten Tage eher sehr gehetzt, denn entschleunigt gefühlt… Und morgen, morgen kommt die härteste Etappe von allen!
Nicht von den Kilometern, das sind nur ca. 30 km laut Navi, aber die Höhenmeter, die werden es in sich haben. Und dennoch ist das die Etappe vor der ich am meisten Respekt habe, aber auf die ich mich am allermeisten freue. 🙂

Mit diesem Gedanken verkrieche mich dann in meiner Hobbithöhle. Das Schreien eines Käuzchen, ganz in der Nähe meines Fasses, krächzt mich langsam in den Schlaf.
Das erste Mal auf meiner Tour schlafe ich so richtig, richtig gut! 🙂
Merke: Ich bin einfach nicht für Hotels und B&Bs geschaffen…

Etappe: 60,08 km, 4:13 h
APL: 7,5 von 10

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