Kapitel 6: In The Army Now

Kapitel 6: In The Army Now

Etappe 6 – Isarradweg / Ammer-Amper-Radweg
Hallerangerhaus – Garmisch-Partenkirchen – Oberammergau (Ammerursprung)

Noch vor dem Morgengrauen werde ich wach. Meine Zimmerkollegin bricht noch vor den ersten Strahlen am Horizont auf. Sie hat heute noch einen 2000 Höhenmeter Abstieg nach Innsbruck vor sich. Der Frühe Vogel hat in diesem Fall sicher einen wunderbaren Sonnenaufgang vom Berg aus gefangen.
Da die Hütte aus östlicher Seite gut von den Bergen ringsum abgeschirmt wird, haben wir wesentlich später das Vergnügen mit dem, was die Sonne zu uns rüber schickt.
Graue massive Felswände, die im Licht des Sonnenaufgangs in einem Sanften Rot glühen.

Kurz vor dem Frühstück zieht es alle hinaus auf die Terrasse. Die Luft ist frisch, aber nicht mehr so kalt wie in der sternenklaren Nacht. Alle gucken gespannt dem Schauspiel der wechselnden Farben zu. Niemand ist hier abgelenkt von irgendwelchen wichtigen Nachrichten oder piepsenden Handys. Diese werden in dem Moment nur als Fotoaparat gebraucht.
Ich muss an die Frau vom Campingplatz denken… Das hier. Genau DAS ist Entschleunigung. Kein Handy, das einen mit meist unwichtigen Nachrichten ablenkt, diese Ruhe, die Luft eines der nun schwindenden kühlen Sommermorgende.
Und während alle in die Hütte zum Frühstück strömen, bleibe ich stehen. Schließe die Augen, lausche… Dem leichten Vogelgezwitscher, dem Rauschen des Windes… Hier. Jetzt.
Was immer es ist, es ist gerade perfekt.
Als ich die Augen öffne hat sich das rot in sanftes Gold gewandelt und die Sonne steigt langsam über den Bergen auf, um das Tal nach und nach in ihr sanftes Licht zu tauchen.

Beim Frühstück treffe ich zwei Mädels. Mutter mit Tochter. Und es entwickelt sich eines von diesen sehr seltenen ungezwungenen Gesprächen. Beide haben eine Woche Wanderung im Karwendel hinter sich. Für Frau Mutter war es das erste Mal.
Beide haben von dieser Tour sehr viel mitgenommen, das merkt man. Und diese typisch innere Ruhe geht von ihnen aus.
Vielen Dank für die schöne Unterhaltung.
Bevor es für mich hinunter gehe folge ich dem Insider Tipp der Hüttenwirtin und gehe zum „Real Shit“ aka „der echte Isarursprung“. Dort sprudelt die Isar ganz unscheinbar aus dem Fels heraus.

Wenn man an das Monstrum an Fluss denkt, dass später seine Masse durch München treibt, auf dem besoffene Party-Flößer unterwegs sind… kaum auszumalen. Und irgendwie schön, dass ihr ihren Lauf bis hier hin gefolgt bin. Ich lasse die Reise etwas revue passieren und langsam verfestigt sich ein Gedanke, der sich schon die letzten Tage immer mehr herauskristallisiert hat. Aber noch mag ich ihn nicht ganz werden lassen, nicht aussprechen.

So gehe ich zurück zum Haus und folge den Wanderern etwas ins Karr hinein. Da ich nur Trailrunners an habe, nur ein kurzes Stück – um die Aussicht zu genießen. Auch wenn es mich wirklich mit aller Macht in Richtung Karr zieht. Die Sehnsucht dort hinauf zu gehen, füllt mich ziemlich stark aus. Ich schaue den immer kleiner werdenden Wanderern hinterher. Und drehe mich seufzend um. Es ist nicht die richtige Zeit – noch nicht.

Auf dem Weg zurück kommen mir zwei Jungs entgegen.
„Wie?! Du gibst jetzt schon auf?“
– „Öhm, ich bin mit dem Radl da und hab jetzt ned die richtigen Schuhe an…“
„Ach, dann fährst‘ halt nauf!“
Ich lache und wünsche ihnen eine schöne Tour. Sie gehen lächelnd an mir vorbei…
Ja, ich wäre ihnen gerne gefolgt. Wer bei diesem perfekten Bergwetter diese Route geht, ist ein glücklicher Mensch. Zumindest in diesem Augenblick, jetzt gerade.
Als ich weiter gehe muss ich herzhaft lachen.
So kommen mir doch zwei Typen auf MTBs entgegen…
Danke Schicksal, dass du mich immer so unglaublich cool dastehen lässt!

Nun geht es hinab. Leider merke ich schon bald das mir die Steigung doch alles andere als geheuer ist. Der Rucksack drückt mich gefühlt nach unten und ich sehe mich schon über den Lenker absteigen. Also schiebe ich das erste Stück hinunter.
Sein Radl schiebend kommt der Hüttenwirt entgegen und guckt mich ungläubig an: „Warum steigst ned auf und lasst ‚s laffa?!“
Ich schüttle nur den Kopf. Nachher wird es etwas weniger steil, da fahre ich dann wieder. Dennoch schiebe ich ziemlich viel den Weg hinab.

Während mir schon die ersten MTBler auf ihren E-Bikes entgegen kommen (den Berg hinauf!). Cheater! Fühlt euch nur cool, ihr Faulbären! 😉
Als ich den Fluss überqueren muss, treffe ich noch mal auf das Mutter-Tochter-Gespann und nach einem kurzen Gespräch fahre ich weiter.
Weiter unten muss ich einen Jeep überholen der mitten auf dem Forstweg steht. Es sind Jäger mit Beute.
Später leiste ich mir mit ihnen noch ein kleines Rennen den Forstweg entlang. Mal liege ich huppelnd, schiebend, schlitternd vorne. Mal sie.
Am Isarursprung (der Tourist-Trap ;)) kann ich wieder rasen. Hier macht es so unglaublich Spaß. Da noch nicht so viel los ist, nehme ich die Kurven knapp, schlittere, knirschend spritzt der Schotter beim Gas geben. Heute gönne ich mir mehr Pausen.
Genieße dieses unglaubliche Tal, baue Steinmännchen. Setze mich ans Ufer und genieße die noch nicht so heißen Sonnenstrahlen.

Der erste Tag dieser Reise an dem ich nicht weiß wo ich heute Nacht schlafen werde – weil ich für die letzten beiden Tage keinen Unterkünfte gebucht habe. Und das erste Mal ist da dieses richtige Freiheitsgefühl, das ich bisher vermisst habe. Dieses gehetzte, dass ich vor allem bis Mittenwald hatte, fällt von mir ab. Letztendlich bin ich doch noch angekommen.
Ich lasse mir Zeit und doch bin ich viel zu schnell wieder in Scharnitz angekommen.
Mein Weg führt mich wieder an der kristallklaren Isar entlang nach Mittenwald und hier soll der Weg nun Richtung Garmisch und dann weiter nach Oberammergau zum Ammerursprung gehen.

Aber eigentlich ist mir eines schon seit ich in Mittenwald angekommen bin klar…
Und wie ich mich an diesem Samstag durch die Senior-Class der Touristen schlängel, weiß ich, dass der Weg hier für mich endet.
Das Beste habe ich nun erlebt, gesehen. Schöner als das kann es nicht mehr werden. Ich schaue die Ausläufer des Karwendels an. Lasse den Blick in Richtung Scharnitz zurück wandern. Wieder zurück gen Norden – der Richtung aus der ich gekommen bin. Ich bin von daheim bis in die Alpen gefahren! Ein zuerst lang anmutender Weg schrumpft hier auf einmal zusammen. Und ich habe ihn bis hier hin geschafft. Das sind über 300 Kilometer in fünf Tagen. Aber es könnten über 400 Kilometer werden!

Eigentlich bin ich los gezogen um nur auf dem Rad sieben Tage von meiner Haustüre aus wieder zu meiner Haustüre zu fahren. Ich will es nicht einsehen. Quäle mich durch die Mittagssonne dennoch den Hügel hinauf. Irgendwie in Richtung Oberammergau…
Als das erste mal ein Warnschild auftaucht, das mich vor Militärgebiet warnt, werde ich schon stutzig. Ich fahre dennoch weiter.
Als mir das Navi aber dann durch Wald und Feld leitet wo zuvor etliche Schilder gewarnt haben „die befestigten Wege nicht zu verlassen“ und vor „Monitionsverseuchtem Gebiet“ warnten, gebe ich mich geschlagen.
Das war‘s.
Hier endet meine Reise!
Schnell rausche ich mit dem Rad nach Mittenwald hinunter zum Bahnhof. Ein letztes Mal die Isar entlang. Mache den Abschied so schnell und ruckartig wie möglich.

Schon holt mich die Zivilisation in die Realtiät zurück: Schnell Fahrkarte kaufen und gerade noch mit dem Rad in den Zug gehechtet, trete ich den Heimweg an. An mir vorbei ziehen die Berge und bald verliere ich sie auch schon aus dem Blick.
Aber in mir drin, da trage ich sie weiter. Tue mir schwer los zu lassen. Denn los gelassen habe ich sie für viel zu lange Zeit. Zeit sie wieder zu holen. In all ihrer rauen Gestalt und verzaubernder Schönheit.
Und irgendwie bereue ich den vorzeitigen Abbruch bis heute kein bisschen…

Etappe: 30,86 km, 2:51:29 h*
APL: 5

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