Kapitel 5: Licht und Schatten

Kapitel 5: Licht und Schatten

5. Etappe – Isarradweg
Mittenwald – Isarursp
rung – Hallerangerhaus

Eigentlich mag ich noch weiter schlafen, so gemütlich und schön ist es, als ich vom Wecker um sieben geweckt werde. Ich hätte noch länger in meiner gemütlichen Hobbithöhle liegen können. Aber ich habe heute einen anstrengenden Tag vor mir. Ich erlaube mir noch ein – zwei mal den Summer zu drücken. Dem Zwitschern der Vögel zu lauschen und die Ruhe zu genießen.
Und irgendwie habe ich gar keine Lust gerade weiter zu fahren. So einen Tag mehr im Fass wäre schon ganz schön gewesen…
Es ist frisch heute morgen. Doch die Sonne kommt langsam hinter den Bergen hervor und ihre Strahlen tragen noch die Sommerwärme mit sich. Noch wird es sehr schnell warm morgens.
Nachdem ich mein Wasser aufgefüllt und gefrühstückt habe, geht es auch schon los.
Der Weg nach Mittenwald ist mir bekannt und ich kenne ja jetzt auch schon die Fehlleitung. So bin ich schnell in Mittenwald und fahre zügig weiter durch die schöne Berglandschaft. Bald wechselt der Weg von Teer zu Schotter. Die Sonne scheint, als ob es gestern nie geregnet hätte.
Ich treffe ein paar sehr gut gelaunte Waldarbeiter, die mit einem breiten Lächeln auf den Lippen ihre Arbeit aufnehmen. Ja, ich glaube heute wird ein guter Tag.

Mein Hintern tut auch gar nicht mehr so weh, wie die letzten Tage. Klar, schon noch irgendwie, aber wahrscheinlich ist jetzt einfach langsam alles taub. Oder mein Körper hat sich daran gewöhnt. 😉
Meine Route führt durch lichten Wald und vorbei an einer Scheune mit der schönen Aufschrift: „Tut‘s ned hinter die Tenne schoaßn, des gilt für Bayern, Tiroler und a Preißn!“
Ziemlich schnell bin ich in Scharnitz angelangt und somit in Österreich angekommen.

Links geht kann man den Abgrund in die Gleirschklamm erahnen.

Dort stehen viele Bierbänke auf dem Wanderparkplatz und auch so Buden und Dinge die aussehen wie „Zieleinläufe“ und ich kombiniere mir geschickt zusammen, dass heute der Karwendelmarsch statt findet. Das ist ein Lauf, der über 2.281 Höhenmeter entweder 32 oder 52 Kilometer lang geht. (Der Schnellste Läufer war dieses Jahr in weniger als 6 Stunden durch, die schnellste Läuferin in ca. 6,5 Stunden durch – wir reden natürlich von den 52 Kilometern, was sonnst. ;))
Ich lasse den verwaisten Startbereich links liegen und fahre den Forstweg in Richtung Isarursprung entlang. Ein ziemlich cooler Weg, bei dem ich des öfteren ein paar Leute überhole, um schließlich von denen wieder überholt zu werden…


Viele Rentner auf E-Bikes, die an mir den Hang hoch fliegen. Aber immer die Sonne im Blick, die Gleirschklamm unter mir und schließlich, nach vielen Höhenmetern bergan und einer großen Kurve: eine atemberaubende Aussicht auf die hier sehr junge, kindliche, glasklare, eisblaue und eiskalte Isar!
Um sie herum schützend die grauen Hühnen.

Ewig könnte man hier stehen und gucken! Aber es geht weiter. Es ist relativ viel los.
Ein paar Leute wandern die Strecke, aber die Meisten fahren sie mit dem Rad.
Vorbei an diversen Steinmännchen Kolonien geht es nun gemächlich auf Augenhöhe mit der Isar auf ihren letzten Metern. Oder eher die ersten Metern, denn bald habe ich die drei Quellen des Isarursprungs erreicht.
Dort kann man noch ein bisschen entlang spazieren über verschlungene Pfade und kleine Brücken gehen. Die Füße in eiskaltes Wasser halten, sich abkühlen, im Schatten liegen und es sind tatsächlich ein paar Blaubeeren und Preiselbeeren an den Sträuchern zu finden!

Und je weiter man dem schmalen Pfad folgt, desto dichter wird das Gestrüpp und desto kleiner der Bach. Schließlich kommt man an eine Stelle an der ganz unscheinbar und ganz klein die Isar aus dem Boden dringt.
Irgendwie ist es schwer zu glauben, dass aus diesem kleinen Bächlein einmal dieser riesige, dreckig-braune Fluss wird…

Nach einer ausgedehnten Rast geht es aber für mich weiter.
Und als ich in Richtung Hallerangerhaus fahre, kommt mir ein entgegenkommender Mensch ziemlich bekannt vor. Und ich könnte schwören, dass das einer der beiden Rafting-Kollegen auf den Metaldays war.
Allerdings sind wir schnell aneinander vorbei gefahren.
Bald geht es sehr steil bergan und ich weiß nun, dass die Prophezeihung: „Ja, bis zum Isarursprung isses super, danach wirst du schieben!“ wahr wird.
Also schiebe ich… knapp 1,5 Stunden.
Für den Tag ist ein Gewitter angesagt und so manch eine Wolke, die es über die Gipfel schafft sieht auch schon wieder recht dunkel aus.

Das Gewitter kam nie in diesem Tal an, sondern ging auf der linken Flanke der Gipfel hinunter.

Ich beeile mich ein bisschen. Der Weg ist wirklich ziemlich steil und schweißtreibend, aber einfach zu gehen. Forstweg halt.
Die Aussicht wird immer schöner.
Bald komme durch den Wald, muss einen Fluss kreuzen und finde mich zwischen einer Herde grauer knuddeliger Kühe wieder. Viele von ihnen lassen mir sogar die Vorfahrt als der Weg wieder gut genug zum Fahren ist. So liebe Kühe! 🙂
Das Hallerangerhaus erreiche ich so als ziemlich erste Person heute.
Einchecken kann ich noch nicht.
Und so setze ich mich auf die Terrasse, bestelle eine eiskalte Belohnungsspezi und genieße die Aussicht! Und was für eine!
Wer schon einmal auf einer Hütte übernachtet hat, weiß um den Zauber, der immer damit verbunden ist. Man kann auch oft einfach ewig dort sitzen und Ausschau halten.
Der Blick hier geht über das gesamte Tal hinweg, durch das ich gefahren bin. Diese ganze Strecke und noch mehr! Unfassbar!
Ein Gefühl von Zufriedenheit stellt sich ein – endlich!

Neben der Hütte tun sich steile Felswände auf. Da ist es: das Tor zu einer anderen Welt. Die Welt, die mich immer wieder fasziniert!
Grau, schroff, karg und doch voller Leben. Und irgendwie juckt es mich in den Füßen. Dort mag ich gerne hoch und dieser Gipfel auf der anderen Seite, der sieht zwar nicht so spektakulär aus, aber der hat bestimmt eine super Aussicht!
Und die Luft hier oben, sie ist so klar uns satt voller Bergduft. Einfach ein kleines Paradies.
Vor allem gibt es eines nicht: Netz! Das Handy ist quasi tot. Und so lasse ich es gleich im Rucksack. Wie oft man doch unbewusst danach greift, wird mir an dem Tag bewusst. Vor allem während ich so alleine auf der Terrasse sitze.
Als andere Wanderer und MTB-Fahrer kommen wird es interessanter, ich sitze und gucke und lausche den Gesprächen.
Auf einmal taucht auch eine bekannte Gestalt auf. In Vorderriss ist mir ein Typ aufgefallen, der den gleichen Rucksack wie ich getragen hat. Das war gestern. Und heute sitzt er hier und ist den Weg von Vorderriss bis hier her gelaufen.
Es ist auf dem Weg von München nach Venedig, den man in gut 30 Tagen laufen kann.
Bald darf ich aufs Zimmer und ich stelle fest, dass ich in ein 3-Bett Zimmer gelost wurde und nur eine Bettnachbarin habe.
Die Hütte füllt sich immer mehr. Und ich lausche den lustigen Wandergeschichten von Kroatinnen und Niederländern. Auch den politischen Debatten zwischen Amerikanern (Trump – bad) und einem britischen Pärchen (Johnson – even worse). Nicht mal hier hat man seine Ruhe vor denen!
Auch werde ich vom Kind der Hüttenwirtin wieder zu sozialen Interaktionen verwickelt. Und darf die Neuauflage von Nils Holgerson gucken – heißer Scheiß!
Und während eine Gruppe Jungs versuchen dem Kleinen das W-LAN Passwort ab zu schwatzen (sie haben es nicht geschafft) gibt es Essen.
Am Abend schließlich einen unfassbar schönen Sonnenuntergang.

Recht früh gehe ich schon ins Bett und falle fast augenblicklich in tiefen Schlummer. Wieder eine gute Nacht, ohne den obligatorischen Schnarcher (m/w/d). Ich bin entzückt!
Ich stelle mir an diesem Tag sehr oft die Frage: Warum liegt der letzte Hüttenabend so lange zurück? Warum hat es die letzten Jahre keine Mehrtagestouren in den Alpen gegeben? Warum verdammt?!
Der Grund – es gibt eigentlich keinen wirklichen, nur diverse vorgeschobene.
Aber sie tun so, so, so gut, diese kleinen Alltagsfluchten!
Auch für mich als kleiner Sozialphobiker… 😉

Etappe: 31,4 km, 3:52 h, 904 hm
A
PL: 5 von 10

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